Bei entzündlichen Krankheiten hatte man bereits Veränderungen im Darm-Mikrobiom der Patienten beobachtet. Nun zeigt eine neue Studie, dass die Mikroorganismen im Darm möglicherweise auch an der Entstehung von Krebs beteiligt sein könnten.
Die weltweite Belastung durch Krebskrankheiten nimmt rapide zu und wird auch in den nächsten zwei Jahrzehnten weiter ansteigen. Immer wichtiger werden damit die frühzeitige Krebsvorsorge und -prävention. Ein Ansatzpunkt dafür könnte die Darm-Mikrobiota, die Gemeinschaft der Darmbakterien, sein, die in den letzten Jahren immer mehr untersucht wurde und eine wichtige Rolle für die Gesundheit spielt. Veränderungen im Gleichgewicht der Darm-Mikrobiota wurden mit verschiedenen Krankheiten verbunden, von starkem Übergewicht über Störungen im Stoffwechsel, Immunsystem und in der Psyche bis zu Autoimmunerkrankungen.
Die Dysbiose, ein Ungleichgewicht der Darmflora, könnte sowohl eine der Ursachen als auch die Folge von Krankheiten sein. Für Krebskrankheiten gibt es eine Reihe von Hinweisen auf mögliche Zusammenhänge zwischen den Profilen der Darm-Mikrobiota und dem Krebsrisiko. Bisher konzentrierte man sich vorwiegend auf die Beteiligung der Darm-Mikrobiota am Magen-Darm-Krebs, da hier die Zusammenhänge am naheliegendsten erschienen. Inzwischen gibt es jedoch auch Hinweise auf Beziehungen zwischen der Darm-Mikrobiota und anderen Krebskrankheiten. Bei Frauen mit Brustkrebs und bei Männern mit Prostatakrebs wurden z. B. Veränderungen in der Zusammensetzung der Darm-Mikrobiota beobachtet. Noch aber reichen die bisherigen Kenntnisse nicht aus, u. a. auch deshalb, weil die Darm-Mikrobiota durch viele Faktoren beeinflusst wird, z. B. durch die Ernährung, Medikamente und Umwelt-Faktoren.
Das erschwert es, eindeutige Schlüsse über die mögliche Kausalität zwischen der Darm-Mikrobiota und dem Krebsrisiko zu ziehen. Mit einer neuen Methode, der Mendelschen Randomisierung, lassen sich die Beziehungen zwischen der Darm-Mikrobiota und dem Krebsrisiko möglicherweise genauer klären. Eine Gruppe chinesischer Forscher untersuchte daher mit dieser Methode zwei umfangreiche Stichproben, um die Wirkung zwischen der Darm-Mikrobiota und fünf häufigen Krebsarten zu untersuchen. In die Analyse waren Brust-, Endometrium-, Lungen-, Eierstock- und Prostatakrebs sowie deren Subtypen einbezogen. Die genetischen Informationen zur Darm-Mikrobiota stammten aus einer (genomweiten Assoziations-)Studie mit rund 18.000 Teilnehmern.
In den Analysen zeigte sich, dass höhere Vorkommen der Bakterien-Gattung Sellimonas ein höheres Risiko für Endometrium- und (Östrogenrezeptor-positiven) Brustkrebs (OR 1,09) prognostizierten. Weitere Analysen zeigten eine robuste Kausalität zwischen der Gattung Sellimonas und diesen beiden Krebsarten, nachdem das Alter bei der Menarche und bei der Menopause, der Body Mass Index sowie das Rauch- und Trinkverhalten (Alkohol) berücksichtigt wurden. Dies weist darauf hin, dass solche Wirkungen zumindest zum Teil unabhängig von allgemeinen Risikofaktoren für Brustkrebs sind. Bislang waren die Kenntnisse über die Bakteriengattung Sellimonas äußerst begrenzt.
Es wurde berichtet, dass sie in Stuhlproben von Patienten mit aggressiveren Tumoren übermäßig vorhanden war, was auf eine potenziell karzinogene Rolle hinweist. Der zugrundeliegende Mechanismus dafür muss künftig weiter untersucht werden. Außerdem zeigte sich, dass höhere Vorkommen der Klasse Alphaproteobakterien (gehören zum Stamm der Proteobakterien) mit einem geringeren Risiko für den Prostatakrebs verbunden war (OR 0,84). Die schützende Rolle dieser Bakterienart auf den Prostatakrebs könnte durch den Body Mass Index sowie durch das Rauch- und Trinkverhalten beeinflusst werden. Weitere Ergebnisse deuten auf heterogene Auswirkungen der Darm-Mikrobiota auf verschiedene Krebsarten hin.
Die Forscher ziehen das Fazit: Dies ist offenbar die erste Studie mit einer Mendelschen Randomisierung, in der die Rolle der Darm-Mikrobiota im Zusammenhang mit dem Krebsrisiko umfassend untersucht wurde. Die Ergebnisse machen eine mögliche kausale Rolle der Darm-Mikrobiota bei der Krebsentwicklung wahrscheinlich. Lassen sich solche Beziehungen in weiteren Untersuchungen bestätigen, dann könnte die Darm-Mikrobiota ein neues Ziel für die Krebsvorsorge und -prävention sein. Dies könnte z. B. bedeuten, dass frühzeitige Stuhluntersuchungen sich zu einem praktikablen Verfahren für die Krebsvorsorge entwickeln könnten, um Bevölkerungsgruppen mit einem erhöhten Krebsrisiko möglichst frühzeitig zu erkennen.
Für sie könnten dann häufigere Krebsvorsorge-Termine oder auch Untersuchungen der Darm-Miokrobiota nützlich sein.
Noch sind jedoch weitere Forschungen auf diesem Gebiet nötig, um die Beziehungen zwischen der Darm-Mikrobiota und verschiedenen Krebskrankheiten genauer zu klären.
Quelle
Zixin Wei et al., Gut microbiota and risk of five common cancers: A univariable and multivariable Mendelian randomization study. In: Cancer Medicine, online 07.03.2023, doi: 10.1002/cam4.5772.